Bei ihrer Suche nach historischen Quellen zur Altersforschung stieß die Historikerin Christina von Hodenberg im Jahr 2014 auf zahlreiche Akten und Tonbänder der Bonner Längsschnittstudie des Alterns (BOLSA).
Fast zwanzig Jahre lang, von 1965 bis 1984, erforschte ein Team um Prof. Dr. Hans Thomae und Prof. Dr. Ursula Lehr Fragen des Alterns und von Alternsprozessen durch individuelle Befragungen. Ihr Ansatz war 1964/65 innovativ. Längsschnittstudien führte man vornehmlich mit jungen Menschen durch. Thomae und Lehr übertrugen das Modell jedoch in die Altersforschung und initiierten damit eine der bedeutendsten Längsschnittstudien überhaupt.
Im Mittelpunkt standen psychologische Forschungsthemen zur Analyse erfolgreicher Formen des Alterns und von Faktoren der Langlebigkeit. Ursprünglich integrierte die Studie insgesamt 222 Teilnehmer und Teilnehmerinnen. Ausgewählt wurden zu fast gleichen Teilen Frauen und Männer aus zwei Alterskohorten der zwischen 1890-1895 sowie 1900-1905 Geborenen. Während sich die erste Alterskohorte zu Beginn der Studie bereits im Ruhestand befand, stand die zweite kurz vor dem Eintritt in das Rentenalter. Beide Gruppen hatten entweder als Kinder oder junge Erwachsene den ersten Weltkrieg und als handelnde Generation den zweiten Weltkrieg erlebt. Gezielt wurden nicht nur auch Frauen in die Stichprobe einbezogen – 1964 gehörte dies noch nicht überall zum Standard – sondern vor allem Menschen aus den unteren Mittelschichten gefunden.
Die Resultate des großen, interdisziplinär angelegten Forschungsteams überzeugten nicht nur die Wissenschaft, sondern gleichermaßen die Probanden wie Drittmittelgeber. Die an der BOLSA beteiligten Forscher*innen wurden Vorreiter der neu entstehenden Disziplin der Psycho- und Sozialgerontologie in Westdeutschland. Es gelang ihnen, sich nach dem zunächst geplanten fünfjährigen Forschungszyklus großzügige Förderungen von Seiten der VW-Stiftung und der DFG zu sichern, sodass 81 der ursprünglich 222 Teilnehmer und Teilnehmerinnen dieser Studie über einen Zeitraum von 15 Jahren befragt werden konnten. Immerhin noch 34 Probanden nahmen am letzten der acht Untersuchungszyklen nach 20 Jahren teil.
Nach der breiten Auswertung der Ergebnisse bis in die 1990er Jahre und dem eigenen Ruhestand vieler Forschenden geriet der Bestand allmählich in Vergessenheit. Es ist kein Zufall, dass 2014 eine Historikerin den Bestand „wiederentdeckte“. Mittlerweile ist die BOLSA selbst zu einer Quelle der Zeitgeschichte geworden, legten hier doch Generationen Zeugnis ab, die beide Weltkriege und die Nachkriegszeit bewusst erlebt hatten. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Studie sind bereits seit vielen Jahren verstorben, geblieben sind ihre Berichte über ihren Alltag und ihre ganz individuellen und privaten Erlebnisse. Geblieben ist auch die Geschichte ihres Alterns.
Es ist der Sprung über die Grenzen der eigenen Fachdisziplin, der dem Altbestand der psychologischen Forschung auch heute zu einem hohen Forschungspotenzial verhilft. Für Sprachwissenschaftler, Soziologen, Demografen, Historiker, Mediziner und andere bietet die BOLSA eine Fülle von Quellen und Daten an, die gegen den Strich (also den ursprünglichen Verwendungszweck) gebürstet, neue Forschungsthemen und Einsichten verspricht.
Seit 2015 wurde der gesamte Forschungsdatenbestand in das Historische Datenzentrum Sachsen-Anhalt überführt. Der Bestand wurde verzeichnet, signiert und zur Digitalisierung kollationiert. Ebenso konnte das Datenzentrum die datenschutzrechtlichen Aspekte zur Digitalisierung und Bereitstellung der Forschungsdaten klären. Der Bestand ist vollständig digitalisiert und wurde von studentischen Hilfskräften intensiv erschlossen. Nunmehr können Sie über das Portal öffentlich alle Metadaten und Datentypen der BOLSA recherchieren. Für alle Wellen und Tests gibt es allgemeine Beschreibungen und Schlagwortverzeichnisse. Über diese können Sie sich informieren, ob die Bestände der BOLSA für Ihre Forschungen weiterführend sind. Für den direkten Zugang zu den digitalisierten Akten, SPSS-Daten und Tondateien ist der Abschluss eines Datenschutzvertrages notwendig. Informieren Sie sich dazu auf der Seite Nutzungshinweise.
Das Historische Datenzentrum Sachsen-Anhalt ist eine Einrichtung des Instituts für Geschichte der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Es bemüht sich Forschungsdaten einer breiten wissenschaftlichen Community für die dauerhafte Archivierung und Nachnutzung zu sichern, aufzubereiten und anzubieten. Hierfür kooperiert das Historische Datenzentrum Sachsen-Anhalt mit der Universitäts- und Landesbibliothek und stellt ein Forschungsdatenrepositorium bereit. Falls Sie historische Daten veröffentlichen möchten, können Sie sich gerne an Dr. Katrin Moeller (hinfo@geschichte.uni-halle.de) wenden.